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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 26.1910-1911

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Haendcke, Berthold: Die historischen Grundlagen der Hell- und Freilichtmalerei, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.13089#0180

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DIE HISTORISCHEN GRUNDLAGEN DER HELL- UND FREILICHTMALEREI

EDOUARD MAN ET DAS ATELIER MO NETS IM BOOT (1874)

Als das Dach gezimmert war, unter dem Gott
der Herr und die Fürsten der Welt wohnten,
als in greifbarer Form das Abbild der mensch-
lichen Erscheinung des Erlösers, der Heiligen,
der ritterlichen Männer festgehalten, da waren
mittlerweile der Kopf und das Herz gar reich
geworden an Gedanken und Gefühlen. Sie
verlangten eine Aussprache. Es entstieg die
Malerei der Versunkenheit, in die sie der Unter-
gang der antik-heidnischen Kultur gerissen hatte.

Alle wahre Kunst ist Erleben. Und für den
Menschen ist alles Erleben ein Sehen: denn
nur durch irgend ein Sehen entsteht in uns
eine Vorstellung. Als die Künstler die Malerei
entwickeln wollten, mußten sie vor der Welt
die Augen weit und scharf beobachtend auf-
machen. Die Maler fanden durch die Bildhauer
das Feld bereitet. Die Plastik hatte im 14. Jahr-
hundert als Idealbildnerin immer mehr lyrische
Elemente aufgenommenund wiederum alsGrab-
denkmälerplastik ständig sorgsamer auf die Zu-
fälligkeiten der äußeren Erscheinung geachtet.
Die Technik der Maler war in zunehmendem
Maße, zu einem Teil weil die Gotik der kirch-

lichen Malerei die Wandflächen für das Fresko
genommen hatte, die der Miniaturmalerei, der
Feinmalerei in Wasserfarben bezw. die Tafel-
malerei in Tempera geworden. So war der
Tafelmalerei in ihrer Besonderheit vorgear-
beitet. Sie setzte hier fort, wie die Renaissance
das Mittelalter.

Die Maler suchten ganz naturgemäß, nicht
gleich den Bildhauern eine Stärkung des
Formen-, sondern des Farbensinnes. Deshalb
mußten sie der freien Natur, Gottes weiter
Welt, der Landschaft, aber auch dem Interieur,
dem Porträt, allen Lebewesen sich zuwenden.
Sie mußten aus dem Atelier heraus und vor
die Türe treten. Hier sahen sie die licht-
überstrahlte, freie Gotteswelt, hell im Sonnen-
glanze vor sich liegen. Daß die Maler damals
so vorgegangen sind, haben sie uns nicht ge-
sagt; aber ein moderner Maler, der unter sonst
ähnlichen Verhältnissen sich entwickelt hat,
kann uns hier als Kronzeuge dienen. Runge
schreibt in seinen hinterlassenen Schriften,
also vom Beginn des 19. Jahrhunderts: . . Wenn
du zuerst das Violette suchst, wirst du es bald

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